von Matthias von Mitzlaff
Das Competing-Value-Framework (zu deutsch in etwa: Konkurrierende-Werte-Modell) geht auf die beiden Kulturexperten Kim Cameron und Robert Quinn zurück. Ihnen fiel damals auf, dass es vier Werte gibt, die in Organisationen vorrangig Ausdruck finden:
Kollaborieren, Kreativ sein, Konkurrenz, Kontrolle.
Inwieweit diese Werte in Organisationen ausgeprägt sind, kann mit einem Standardfragebogen ermittelt werden.
Ein handliches Werkzeug zur Abbildung von Leitwerten in Organisationen ist das sogenannte „OCAI“, was für „Organizational Culture Assessment Instrument“ steht.
Hinter diesem Tool verbirgt sich ein leicht handhabbarer Fragebogen, der zu verschiedenen Kategorien jeweils eine Frage stellt:
Hauptmerkmal der Organisation
Führung in der Organisation
Umgehen mit Mitarbeitern
Was die Organisation zusammenhält
Fokusthemen der Organisation
Erfolgskriterien in der Organisation.
Nach dem oben erwähnten Vier-Quadranten-Modell sind die Umfrageteilnehmer aufgefordert, zu jeder dieser Kategorien jeweils hundert Prozentpunkte aufzuteilen. Diese Aufteilung soll sowohl für die Istsituation („Heute“) als auch für die gewünschte Sollsituation („Zukunft“) vorgenommen werden.
Das Ergebnis für das Kriterium „Umgehen mit Mitarbeitern“ könnten beispielsweise so aussehen:
Für diese Prozentpunkteverteilung kann man interpretieren, dass der Befragte sich tendenziell weniger Partizipation/Konsens wünscht, zugunsten mehr individueller Gestaltungsfreiheit.
Ein Projektbeispiel
In einem Transformationsvorhaben der Automobilindustrie ergab sich in einem Unternehmen nach Befragung von ca. Mitarbeitern mittels OCAI-Fragebogen folgende Grafik:
Was ist nun aus diesem Befragungsergebnis ableitbar? Offensichtlich möchte ein Großteil der Befragten ein Stück weit weg von einer Unternehmenskultur, die auf Reglementierung und Prozesseinhaltung ausgerichtet ist und hin zu einer Kultur, in der Innovation und Kreativität stärker betont werden.
Eine Befragung mittels CVF/OCAI ist nur ein Baustein in der Zusammenarbeit eines Kulturberaters mit den Beteiligten einer Organisation.
Im Anschluss an eine Befragung könnte sich die Arbeit in Kleingruppen anschließen, in der die Umfrageergebnisse transparent kommuniziert werden. In Form von Impulsfragen kann nun die weitere Auseinandersetzung mit Ist- und Sollkultur angeregt werden. Gegenstand eines Workshops hierzu könnte es im erwähnten Beispiel der Automobilindustrie nun sein, die Mitarbeiter mit Kennzeichen einer kreativen Kultur – siehe unten – zu konfrontieren.
Adhokratie: die Kultur
Ein dynamischer, unternehmerischer und kreativer Platz zum Arbeiten. Mitarbeiter „lehnen sich aus dem Fenster“ und gehen Risiken ein. Führungskräfte wirken als Innovatoren und Risikoträger. Was die Organisation zusammenhält ist ein Engagement für Experimente und Innovation. Die Betonung liegt auf dem Halten einer Vorreiterrolle. Langfristig ist das Unternehmen auf Wachstum und das Akquirieren neuer Ressourcen angelegt. Produkt- oder Dienstleistungsführerschaft werden als wichtig erachtet. Die Organisation ermutigt zu individueller Initiative und Freiheit.
Adhokratie: Rolle der Führungskräfte
Der Innovator ist clever und kreativ. Er sieht Veränderungen voraus. Sein Einfluss basiert auf der Voraussicht einer besseren Zukunft. Er entzündet Hoffnung in seinen Mitarbeitern und Kollegen. Innovation und Anpassung werden aktiv verfolgt. Der Visionär ist in seinem Denken und Handeln stark zukunftsorientiert. Er fokussiert darauf, wo hin sich die Organisation entwickeln sollte, mit all ihren Möglichkeiten. Strategische Ausrichtung und kontinuierliche Verbesserung der aktuellen Aktivitäten sind Hauptbestandteile dieses Führungsstils.
Die Mitarbeiter werden sodann mit obigen Kulturmerkmalen und der typischen Adhokratie-Rollenbeschreibung einer Führungskraft vertraut gemacht.
Folgende Aktivitäten schließen sich im Workshop dann an:
Kulturelles Ziel: In der Gruppe einen Konsens erarbeiten, in welche Richtung sich die künftige Organisationskultur bewegen soll.
Kulturelle Veränderungen: Sich in der Gruppe auf Dinge einigen, die eine spürbare Veränderung in der Organisationskultur auslösen werden.
Werte und Verhalten: Zusammen identifizieren und formulieren, welche kulturellen Leitwerte und Verhaltensweisen die künftig gewünschte Kultur ausdrücken sollen.
Kulturelle Simulation: Ereignisse beschreiben, die in der Zukunft stattfinden werden, welche die Wunschkultur ausdrücken.
Start/Stopp/Weiter: Identifizieren, welche Aktivitäten begonnen, welche beendet und welche beibehalten werden sollen, um die gewünschte Kultur zu etablieren.
Schnelle Erfolge: Abschließend im Workshop erarbeiten, welche einfach umzusetzenden Aktivitäten schon kurzfristig initiiert werden können („Quickwins“), um eine spürbare kulturelle Entwicklung zu erzielen.
Ein solcher Kultur-Workshop – im Anschluss an die beschriebene Befragung per OCAI – kann nur ein Auftakt für eine intensive Beschäftigung mit der eigenen Organisationskultur sein. Aus Erfahrung des Autors sind Kulturprojekte vielmehr mittel- bis langfristig angelegt.
Jede Organisation, die sich auf eine Auseinandersetzung mit diesem Thema einlässt, hat eine echte Chance, ein hohes Maß an Vertrauen und Engagement bei ihren Mitarbeitern zu erwerben.
Dies wiederum kann sich in „harten“ Vorteilen für die Organisation auszahlen: weniger Fluktuation und produktivere Arbeitskräfte.
Matthias von Mitzlaff, der Autor dieses Artikels, ist gegenwärtig Managing Consultant im Bereich „Organisation Change Management“ der IBM Deutschland GmbH. Seit 2012 ist er darüberhinaus Hauptansprechpartner für das Thema „Culture Transformation“.