Mobbing – ein kulturelles Phänomen

Wenn man das Phänomen ‘Mobbing’ betrachtet, so wird schnell deutlich, dass eine Unternehmenskultur, die geprägt ist von Wertschätzung und Transparenz, das wirkungsvollste Mittel ist, diesem zu begegnen.

Bereit zu zuschlagen...

Im Bereich der Arbeitspsychologie sind zahlreiche Faktoren erforscht worden, die die Arbeitsmotivation sowie die Arbeitsleistung negativ beeinflussen. Streng genommen kann man diese Forschungsergebnisse auch dahingehend interpretieren, dass ungünstige Bedingungen nicht nur die Arbeitsmotivation bremsen, sondern auch ein Klima schaffen, in dem Mobbing entstehen kann. Auch die Stressforschung liefert viele Hinweise darauf, durch welche Arbeitsbedingungen Menschen dazu neigen, sich aggressiver zu verhalten. Aber auch bei äußerlich unproblematischen Arbeitsplätzen kann es zu Mobbing kommen, wenn die moralische Einstellung oder die Konfliktfähigkeit bzw. die Zivilcourage der Beteiligten fragwürdig bzw. wenig ausgeprägt ist.

Im Rahmen der Repräsentativbefragung von Meschkutat, Stackelbeck und Langenhoff (2002) wurde deutlich, dass Mobbing in der Regel gehäuft in Betrieben auftritt. So gab es in ca. 2/3 der von Mobbing betroffenen Betriebe bereits vorher und in ca. 3/5 zeitgleich weitere Fälle. 65% der Mobbingopfer bestätigten zur Zeit des Mobbings ein schlechtes Arbeitsklima und 60% der Betroffenen beklagten eine mangelnde Gesprächsbereitschaft der Führungskraft. 55% stellten während des Mobbings Stress, Hektik & Termindruck fest und in 37% aller Fälle fanden gerade betriebliche Umstrukturierungen (tlw. mit Personalabbau) statt.

Spannend ist auch die Erkenntnis, dass es in Unternehmen mit einer offenen Informationspolitik selten zu Mobbing kommt.

Was können Unternehmen tun, um Mobbing nachhaltig zu vermeiden?
Eiselen & Nowosad (1998) benennen folgende vorbeugende Maßnahmen als besonders wirkungsvoll:

  1. das Etablieren einer offenen Kommunikationskultur,

  2. das Einrichten von Unterstützungsstrukturen und -netzwerken (durch Vorgesetzte und Kollegen),

  3. die Transparenz der Organisation,

  4. stetige Aufgabenerweiterung und -bereicherung,

  5. klare Aufgaben- und Kompetenzabgrenzungen,

  6. Maßnahmen zur Steigerung der Eigenverantwortung,

  7. Teamentwicklung in der Arbeitgruppe zur Verbesserung der Kooperation

  8. Sensibilisierung der Mitarbeiter in Bezug auf Mobbing-Prozesse (z.B. auf Betriebsversammlungen)

  9. Schulung für alle Mitarbeiter einschließlich der Führungskräfte zum Thema Mobbing

  10. regelmäßige Mitarbeiter-Vorgesetzten-Gespräche zur Aufdeckung von möglichen Konflikten

  11. Vermittlung von Konfliktlösekompetenzen bei den Mitarbeitern (Kommunikationstrainings, Anti-Stress-Programme etc.),

  12. die Einrichtung von Qualitäts- und Gesundheitszirkeln,

  13. sowie die Installation eines Mobbing- bzw. Konfliktbeauftragten.

... in kriegerischer Atmosphäre

Leider wird auch in aktuelleren Studien immer wieder deutlich, dass Führungskräfte an über 50% aller Mobbingfälle (aktiv) beteiligt sind. Dass diese ihrem Auftrag damit nicht gerecht werden können, liegt auf der Hand. 

Jeder einzelne Mobbingfall kostet das Unternehmen zwischen € 15.000 bis € 50.000 durch Fehlzeiten, Arbeitszeit für (vergebliche) Problemlösungen, Kündigung, Ersatzbeschaffung- und Einarbeitung von Personal, Qualitätsprobleme und Leistungsausgleiche.

Es scheint also unerlässlich zu sein, die Führungskräfte „mit ins Boot zu holen“ und eine am Menschen ausgerichtete Unternehmenskultur zu etablieren.
Aus den (neueren) Erkenntnissen der Hirnforschung lassen sich folgende Empfehlungen für adäquates Führungsverhalten ableiten:

  • Unternehmen sollten eine Vision haben und diese so kommunizieren, dass der einzelne Mitarbeiter eine positive Kosten-Nutzen-Rechnung entwickelt, aus der hervorgeht, dass es sich (auch persönlich) lohnt, sich für die Ziele des Unternehmens zu engagieren.

  • Die Führungskraft sollte sich authentisch und wertschätzend verhalten und auf die Stärken der Mitarbeiter aufbauen. Ein „Herumschrauben an den Schwächen“ führt demnach in der Regel nicht zum langfristigen Erfolg und wirkt eher demotivierend. Erlebte Selbstwirksamkeit, die bestimmte Rahmenbedingungen (wie z.B. ausreichend Zeit zum Üben und Verfestigen von Erlerntem) voraussetzt, sowie „echte“ soziale Wertschätzung werden als Grundpfeiler einer „humanen“ Unternehmenskultur betrachtet.

Wichtig dabei ist die Erkenntnis, dass man Menschen nicht grundsätzlich (ver-)ändern kann, sondern die jeweils individuelle Persönlichkeit des Mitarbeiters gesehen werden muss. Produktiv und ökonomisch ist demnach, was human ist.

Um wirklich etwas zu bewirken, sollte also die Unternehmenskultur stärker im Fokus stehen. Nur auf diesem Wege lassen sich die hohen betriebs- und volkswirtschaftlichen Kosten, die durch Mobbing entstehen, langfristig und wirkungsvoll vermeiden. Der Mensch ist ein soziales und leicht kränkbares Wesen, dem mit Wertschätzung und Achtsamkeit begegnet werden sollte.

Bei einer Diskussion dieses Artikels im „Fachforum Mobbing“ wurde Erstaunen darüber geäußert, wie wenig die Erkenntnisse, die ja bereits lange zur Verfügung stehen, bislang Einzug in die Unternehmenskulturen gefunden haben.

nicht ritterlich, nicht romantisch sondern einfach FIES.

Dr. Annefried Hahn (Coach, Berlin) stellt hierzu fest, dass die oben getroffenen Aussagen zwar allgemeiner Konsens sind, es zugleich aber offenbar ein ausgesprochen schwieriges Unterfangen sei, wolle man eine solche Unternehmenskultur einrichten. Dies liegt ihr zufolge am Wesen von Kultur. Sie ist nicht nur vielschichtig und in vielen Teilen verborgen (vgl. Eisbergmodell), sie ist auch an Ort und Zeit gebunden. Das heißt, eine Kultur lässt sich nicht allgemein beschreiben oder fördern. Denn sie ist von ihrem Wesen her spezifisch:

Die Mitarbeiterbefragungen der Gewerkschaften, der Krankenkassen u. a. bescheinigen vor allem immer wieder eines: Eine Unzufriedenheit, die mir grundlegend erscheint. Außerdem einen stetigen Anstieg psychischer Erkrankungen. Wenn man darauf nicht eingeht, kann man Potenziale nicht wirklich freisetzen. Unzufriedenheit wie Potenziale wirken in der Tiefe einer Arbeitskultur. Sie lassen sich weder mit systemischen noch mit Verhaltensänderungen oder Vorbildern zufriedenstellend beeinflussen.

Das ist wie beim Narzissmus. Wenn man die tiefe Kränkung eines Menschen nicht wirklich, authentisch und überzeugend ernst nimmt, öffnet er sich nicht für die positiven Dinge, für seine eigene Wehrhaftigkeit oder die Wertschätzung anderer, die es ja auch immer gibt. In Organisationen bedeutet das, die Unzufriedenheit, den Widerstand wirklich ernst zu nehmen – bei Führungspersonen und Mitarbeitern. Ist eine Führungskraft nicht vom Wert eines Mitarbeiters überzeugt und lobt ihn dennoch, weil das jetzt eben die Vorgabe ist, so merkt der Mitarbeiter das und reagiert unzufrieden.

Es geht bei der gegenwärtigen Krise in den Unternehmen also um ihr Innerstes, um die Tiefen der Arbeitskulturen und um das Innere der Mitarbeiter. Dazu gehören Emotionen wie Kränkungsgefühle und Selbstwertgefühle sowie Sehnsucht nach Beständigkeit, die ja meist indirekte Wirkung entfalten, wie beim Mobbing oder dem Dienst nach Vorschrift. Auch zeigen die [oftmals] hohen Fehlzeiten die Erschöpfung der Beschäftigten an, die einem Verlust von Ressourcen gleichkommt, die dann erst wieder aufgebaut werden müssen.“

von Rainer Müller , Fachforum Mobbing