Verwirklichung

2000 realisierten acht Künstler ein Projekt, das von nun an ihre gesamte Lebens- und Arbeitswelt verändern sollte: aus einer ehemaligen Strickwarenfabrik im Bodensee-Hinterland wurde eine Kunsthalle mit  10 Ateliers und 5 Wohnungen. Immerhin eine Millionenprojekt, das keiner alleine hätte stemmen können.

diziSchiffAm Anfang war also eine Notwendigkeit und die Vision einer Problemlösung. Gemeinsam könnte man es schaffen. Diese Perspektive öffnete den Blick auf die Möglichkeiten, die sich boten. Einer der beteiligten Künstler schlug den Erwerb einer stillgelegten Fabrik vor. – Ein anderer Künstler hatte gute Kontakte zu „alternativen“ Betrieben, die bereit waren, die Künstler mit dem notwendigen Gründungs-Knowhow zu unterstützen. Berater der GLS-Bank, der Naturata AG und Sonett OHG unterstützten und begleiten die Künstler bis heute.

Die Finanzierung lief über einen zu diesem Zweck gegründeten gemeinnützigen Verein. Einige der beteiligten Künstler statteten den Verein mit zinslosen Darlehn aus, die nicht zurückgezahlt sondern „abgewohnt“ wurden. Es gab auch Sponsoren und Spender.
Die Gemeinde, in der sie sich ansiedelten, unterstützte einen Förderantrag, dem auch stattgegeben wurde. – Die staatlichen Mittel waren allerdings daran gebunden, dass die Kunsthalle 10 Jahre bestehen muss.
Der Verein ist Besitzer und Betreiber von der Halle und den Wohnungen.

Ihre Vision haben die Gründungsmitglieder im Namen des Vereins niedergelegt: „Man müsste Ateliers hinterlassen können“e.V.. Dieser Spruch ist ein Van-Gogh-Zitat und zeigt, was die Künstler antreibt: über das eigene Leben hinaus für die Kunst zu wirken.

Dieter Zimmermann, einer der Gründer, ist sich sicher: „Ist man sich mit der Grundidee einig, kommt das Geld wie von selbst.“

So weit so gut.

dizisicherheitAls der große Wurf getan war, stellte sich allerdings heraus, dass es ein Unterschied ist, zwischen zusammen gründen und zusammen zu leben und zu arbeiten.
Gräben zwischen den detaillierten Vorstellungen von Lebensgemeinschaft traten zu Tage. Wie weit darf Gemeinschaft gehen und wie weit müssen individuelle Bedürfnisse respektiert werden? Wie geschlossen und wie weit geöffnet darf man sich geben? Wie viel muss jeder für die Gemeinschaft leisten?
Um diese Fragen, die mit den Problemen des Betriebes einer solchen Unternehmung einhergehen, zu klären, treffen sich alle Mieter und Vereinsmitglieder regelmäßig  jede Woche Donnerstag.

Sie tagen auch nach 12 Jahren noch jede Woche.

Kulturelle Veranstaltungen werden organisiert.
Das Gastatelier wird genutzt.
Gründer sind ausgetreten und andere Künstler übernahmen.
Freundschaften entstanden und andere zerbrachen.
Aber man arbeitet weiter miteinander, manchmal eben auch nebeneinander.

Die Idee der „Aufgabengemeinschaft“, wie es der Künstler Dieter Zimmermann nennt, ist Kern der Gemeinschaft; der wöchentliche Ritus des Miteinandersprechens macht den Betrieb möglich. Dabei ist es nicht erheblich, dass jeder immer anwesend ist. Es gibt auch nicht immer was zu besprechen. Aber grundsätzlich ist klar: am Donnerstag Nachmittag trifft man sich im Gemeinschaftsraum und fragt, ob es was zu besprechen gibt.

Keine Vision und keine Idee, um die man sich zusammenfinden kann, ist detailliert genug, als dass es keine Konflikte bei der Realisierung und Ausgestaltung geben könnte. Jeder der Beteiligten hat im Detail ein anderes Bild vor seinem inneren Auge. Aber wenn die Ideen grundsätzlich im Großen und Ganzen übereinstimmen, dann reicht das. Die Grundzüge sollten einfach genug sein.
Ein Lebenselexier für das Unternehmen sind natürlich auch die pragmatischen Vorteile, die Isabel Mayer, die erst seit eineinhalb Jahren in der Kunsthalle arbeitet, so zusammenfasst:

diziUnversicherbare„Die Notwendigkeit, als Künstler einen geeigneten Platz zum Arbeiten zu finden. Die Wirkungsstätte Kunsthalle als solche, als Gebäude, in dem man arbeitet. Die Abhängigkeit, weil ohne die Gemeinschaft der Einzelne nicht in der Kunsthalle wohnen oder arbeiten könnte. Der Mehrwert, den man durch die Gruppe erfährt, weil immer wieder jemand etwas für die Gemeinschaft einbringen kann.“
Dazu kommen die Synergie-Effekte: gemeinsam werden die Künstler viel stärker in der Öffentlichkeit wahrgenommen.

Die Bildhauerin Claudia Schlürmann kam ein Jahr nach der Gründung dazu und erlebte die spannungsgeladene Zeit der bürokratischen Formfindung intensiv mit. Anderen Gründern empfiehlt sie aus dieser Erfahrung heraus, die rechtliche Form für das Vorhaben sehr klar zu definieren. „Die Regeln müssen die Sache schützen und sollten egoistische Alleingänge verhindern. Gleichzeitig müssen sie aber flexibel genug sein, um Raum für Gestaltung und Veränderung zu lassen.“

Dass es zu Interessenkonflikten der Einzelnen kommen kann, ist klar. Aber das Ganze, die Grundidee, wird durch klar formulierte Regeln geschützt und bleibt im Zentrum.

Man kann das auch so beschreiben: Die Grundidee ist wie die Idee von einem Haus, das man bauen will. Sie ist auch gleichzeitig der Bauplatz und das Fundament.
Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind der Dachstuhl und die Deckung. Unter ihnen findet man sich bei Wind und Wetter zusammen.
Beatmet wird das Haus durch die regelmäßigen Treffen.

Das klingt doch ganz einfach. Aber wer je ein Haus gebaut hat weiß, dass der Teufel oft im Detail steckt.

Ich kenne die Kunsthalle seit ihrer Gründung. Ich bin immer gerne dort.
Es ist gut zu wissen, dass es solche Orte gibt.

Darum habe ich diesen Artikel geschrieben: um Ihnen, die Sie vielleicht von einer Gründung oder  Unternehmung träumen, Mut zu machen. Vieles ist möglich!

diziEselBesonderen Dank an Martha Materna, Künstlerin in der Kunsthalle-Kleinschoenach.

Die Illustrationen wurden freundlicherweise von Dieter Zimmermann zur Verfügung gestellt.

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