Kunst bei Kulturbewahrungsinstinkt

Veränderungen verursachen Ängste.

Jeder kennt diese vorgeschobenen Argumente gegen Veränderungen: Wird eine neue Software eingeführt, war plötzlich bei der alten alles besser. Die neuen Medien haben ganz eindeutig irgendeinen Haken. So viel Erfolg gibt es nicht ohne Haken. – Da wird der Datenschutz plötzlich eine ganz wichtige Angelegenheit.

Wir haben Angst, dass unser Weltbild nicht mehr trägt, dass wir lernen müssen, dass wir vorübergehend inkompetent sind. Niemand will dastehen wie ein Depp. Wir wehren uns automatisch gegen Neues, damit niemand aus uns einen Deppen macht.

Renoir, 1841-1919. Verlässliche Tradition, wenn jeder weiß, wo er wann den Fuß hinsetzen soll.

Diese tiefe Angst vor Veränderung ist eine sehr wichtige Kraft von Kultur. Wir brauchen Verlässlichkeit, weil unsere Welt komplex ist. Wir haben so viele Erfolgsalgorithmen entwickelt, nach denen wir blitzschnell Entscheidungen treffen können, die dann auch tragen. Wir sind gewohnt, Dinge auf den ersten Blick zu erfassen. Wenn sie unseren Erwartungen entsprechen, brauchen wir keinen Rechnerplatz im Gehirn zu belegen. Wir können uns auf die Aufgaben konzentrieren, die uns tatsächlich weiter bringen. Je besser die Vorurteile mit der Wirklichkeit übereinstimmen, desto sinnvoller greift der Erfolgsalgorithmus, desto mehr Rechnerplatz bleibt für den Fortschritt. – Und an dieser Stelle beißt sich die Katze in den Schwanz: denn den Fortschritt wollen wir nicht wirklich. Davor haben wir eine gesunde Angst. Niemand soll uns an die Vorurteile gehen…

Wenn sich etwas ändern soll, dann müssen Tricks angewendet werden, um die natürliche Abwehr gegen Veränderung aufzubrechen. Für Texte gilt: Ein gutes Zitat ist so ein Trick! Hinter einem breiten, akademisch anerkannten Rücken kann man gut die wahren Intentionen, nämlich Veränderung zu bewirken, verbergen. Hinter dem verbalen Schild einer bekannten Autorität pirscht man sich vorsichtig zum Ziel, wägt die Leser in Sicherheit, „Seht her, DER sagt das auch!“, und egal ob DER es tatsächlich so meinte, der Leser wird die Härte der angstauslösenden Argumentation erst begreifen, nachdem er den Text entspannt und ruhig zu Ende gelesen hat.

Etwas fortgeschrittener und wirkungsvoller ist es, mit Kunst zu arbeiten. Mit Kunst lassen sich zum Beispiel Visionen visualisieren. Und Visionen sind zwingend notwendig, damit ein Weltbild entsteht, das den Menschen Mut macht, sich in vorübergehende Inkompetenz zu begeben.
Außerdem lässt sich mit künstlerischen Mitteln alles dekonstruieren. Kunst (zumindest einige Richtungen) entspricht nicht den Erwartungen. Sie verwirrt, irritiert und bringt einen dazu, wieder über die Erfolgsalgorithmen nachzudenken. Das ist unumgänglich, wenn man Change will.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Streifzüge abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <strike> <strong>